Kein Zweifel, über Angehörige anderer Völker Witze zu machen, ist dumm, geschmacklos, niveaulos. Ganz zu schweigen davon, dass solche Witze selten witzig sind, weil es eben nur begrenzt lustig
ist, sich zulasten anderer zu amüsieren. Pardon allerdings ist zur Not den Brasilianern zu gewähren, die allzu gerne Portugiesen-Witze erzählen; das ist eben die - späte und relativ harmlose -
Rache der ehemaligen Kolonisierten an den früheren Kolonialherren.
Anlass dieser Betrachtung ist die erste Toilette, die Wolfgang auf portugiesischem Boden aufsuchte, in einem kleinen Café in Termas de Monfortinho, kurz nachdem wir das Selfie vor dem
EU-Portugal-Schild geknipst hatten. Ja, liebe Brasilianer, die portugiesische Realität ist witziger als eure Portugiesen-Witze: Die Toilettentür war zwar zu verriegeln, aber - ungelogen! - nicht
von innen, sondern nur von außen...
Wir hatten am Tag vorher einen knapp 30 Kilometer langen Marsch bis an den Grenzfluss gemacht, in dessen Auen wir, sicher zum letzten Mal auf unserer Wanderung, wild zelten. Nicht ganz
freiwillig, denn dieser Zipfel Spaniens ist dünn besiedelt, und durch das letzte Städtchen vor der Grenze waren wir schon früh am Nachmittag gekommen. Danach nur dürre Weiden und menschenleere
Wälder, bis zu einem Grenzposten der Guardia Civil, der seit Jahrzehnten leersteht und verfällt; Portugal und Spanien sind seit 1985 in der EU.
Die Wochen davor waren wunderbar. Diese Ecke Spaniens, die Extremadura, war eine richtige Entdeckung für uns, was kein Wunder ist, denn wir beide kannten Spanien kaum. Die Wanderung von Segovia
aus nach Südwesten, also direkt in Richtung Lissabon, führte durch verschiedene Gebirgszüge, von denen wir nie gehört hatten. Zum Beispiel Los Hurdes: Anja hatte aus dem Internet den Anfang der
Dreißiger Jahre gedrehten Dokumentarfilm eines damals jungen Regisseurs gefischt, der später nicht gerade für Dokumentarfilme berühmt werden sollte - Luís Buñuel. Der Film ist eine Anklage gegen
die haarsträubenden sozialen Verhältnisse, die damals in den Tälern dieses Gebirgszugs herrschten. Die aus fast schwarzem Gestein gebauten Dörfer mit ihren eng zusammengedrängten Häusern gibt es
heute noch, und sogar noch ziemlich intakt. Aber natürlich mit dem gewaltigen Unterschied, dass das Szenarium des früheren Elends heute die pittoreske Kulisse eines florierenden Tourismusbetriebs
ist.
Es liegt nicht nur an den Temperaturen, die nun, jetzt in Portugal, vor allem abends herbstlich kalt sind: Das freundliche Treiben auf der Plaza in Spanien, wo man sich trifft und palavert und
ein Gläschen trinkt, ist auf der Praça in Portugal nicht so üblich. Dass die Portugiesen zurückhaltender sind als die Spanier, gehört zu den Binsenweisheiten der Völkerpsychologie, die man als
Tourist gerne treibt. Was nicht heißt, dass es in Portugal unfreundlicher zugeht. Zum Beispiel der Bauer André und seine aus Rumänien stammende Frau. Auf unserem letzten, dem 35-Kilometer-Marsch
bitten wir bei ihnen, unsere Trinkflaschen auffüllen zu dürfen. Dürfen wir, und außerdem werden wir so nett und so eindringlich zum Mittagessen eingeladen, dass wir nicht ablehnen können und
mögen. André ist neugierig, er fragt uns aus nach dem Woher und Wohin, und er ist heiter und witzig - die Unterhaltung zwischen uns vier uns fremden Menschen fließt unter viel Gelächter leicht
dahin, zumal André nicht davon abzuhalten ist, eine Flasche Wein aufzumachen.
Während wir in Spanien bis zu dieser letzten Etappe immer in den Ausläufern des zentralspanischen Scheidegebirges - nordwestlich fließt das Wasser in den Atlantik, südöstlich ins Mittelmeer -
gewandert sind, wird die Landschaft in Portugal flacher. Sehr flach teilweise, und bis Lissabon sind ebenfalls keine nennenswerten Erhebungen mehr zu erwarten. Hinzu kommt, dass der markierte
Wanderweg reichlich oft identisch ist mit Landstraßen.
Sodass wir mal wieder vom ursprünglichen Plan abweichen. Wir beschließen, nicht ganz bis Lissabon zu Fuß zu gehen. Wir laufen ein paar Tages-Etappen - die letzte war vermutlich die längste der
ganzen Wanderung, nämlich stattliche 35 Kilometer - bis in die freundliche Kleinstadt Castelo Branco, mieten dort für zwölf Tage ein Auto, das wir dort auch wieder abgeben werden, und dann fahren
wir einfach mit dem Zug nach Lissabon.
Das hat den Vorteil, dass wir uns nochmal fünf Wandertage in der Serra da Estrela gönnen können, einen in Regen und Nebel und vier in wunderbarem Herbstsonnenschein. Wir mieten ein kleines
Ferienhäuschen in einem Dorf am Rande dieses recht überschaubaren Gebirges, das nach 30 Kilometern zuende ist, egal ob von Süd nach Nord oder von Ost nach West. Im Süden der Serra liegt Portugals
höchster Punkt (genauer gesagt Kontinental-Portugals, der Vulkan auf der Azoreninsel Pico überragt die Serra da Estrela beträchtlich). Dieser Punkt ist 1993 Meter hoch. Also kein so ein richtig
beeindruckender Superlativ
Das empfand vielleicht auch der portugiesische König João VI. so, denn er ließ eine sieben Meter hohe Säule draufsetzen, auf dass die 2000 Meter voll würden.
Die Säule wird heute überragt von zwei verfallenden, champignonartigen Radartürmen, den üblichen Handy-Antennen und einem wunderlichen Shoppingcenter voller Geschäfte, die alle das gleiche Angebot haben: Pelz- und Lederartikel, Schinken und Käse. Was João sicher gefallen hätte, denn der König, der sich 1808 mit seinem Hofstaat auf der Flucht vor den napoleonischen Truppen nach Rio de Janeiro absetzte, galt als Vielfraß.
Die Höhenlagen des Sternengebirges wecken Erinnerungen an die Wochen in den Pyrenäen: Schroffe Felslandschaften, klare Bäche und Seen, grandiose Ausblicke und anstrengende Kraxelsteige. Weiter
unten ist es eher wie in deutschen Mittelgebirgen, mit viel Nadel- und sich nun bunt färbenden Laubwäldern. Um diese Landschaft zu erzeugen - so lesen wir auf einer Informationstafel -, wurde das
Militär eingesetzt. Die Viehhirten fanden die Wiederaufforstung der erodierten Täler Ende des 19. Jahrhunderts nämlich gar nicht erstrebenswert und widersetzten sich vehement.
Es sind schöne Tage, die unsere Wanderung abschließen - schön, aber anders. Anja brachte es, als wir mit unserem Ferien-Auto auf einer ruhigen Landstraße Castelo Branco verließen, auf den Punkt: "Jetzt machen wir ganz normalen Urlaub". Man kann es auch in den Begriffen der Geometrie ausdrücken. Seit dem 15. März haben wir uns immer linear fortbewegt, von A nach B, von B nach C, von C nach D und so weiter. Und nun geht es - eben so, wie es alle anderen machen - zirkulär zu: Wir suchen uns Wanderrouten, die an ihren Ausgangspunkt zurückkehren. Dahin, wo das Auto steht. Und selbstverständlich nehmen wir die Landschaft, durch die Windschutzscheibe betrachtet, ganz anders wahr, als wenn man sich unter körperlicher Anstrengung und mit dem Rucksack auf dem Buckel in ihr bewegt.
Wie gesagt: Schön, aber anders. In Castelo Branco gehen wir am Abend, bevor wir mit dem Auto losfahren, fein essen und stoßen etwas wehmütig an auf das Ende der Linearität. Die Reise ist noch nicht vorbei, aber die Wanderung schon.
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Monika (Freitag, 26 Oktober 2018 11:22)
"Hei! Weiser Wand'rer,
dünkt' ich dich dumm,
wie gefällt dir nun
mein feiner Witz?
Fand ich mir wohl
Rath und Ruh'?"
(Er springt vergnügt auf, holt Gefäße herbei, und schüttet aus ihnen Gewürz in einen Topf.)
Verena (Freitag, 26 Oktober 2018 11:49)
Oh wie schade ,Eure Wanderung ist vorbei.. Danke fuer die schoenen und spannenden Einblicke! Und bitte noch einiges aus Portugal ��, abracos .
Joachim (Sonntag, 28 Oktober 2018 22:04)
Liebe Wanderer, geniesst die letzten Tage im Süden und kommt gut nach Wiesbaden zurück!