Camping!


Während ich mir die Zähne putze, rasiert sich der Mittvierziger in Adidas- Badelatschen sorgfältig einen verwegen ausschauenden Dreitagebart hin. Die Dame, die sich neben Wolfgang für den Tag herrichtet, belegt sämtliche Ablageflächen, um ihre diversen Cremes und Tübchen auszubreiten, so dass Wolfgang nach seiner Morgentoilette genaue Auskunft über ihren Hauttyp geben könnte.
Nein, wir haben keine Nacht zu viert hinter uns, sondern befinden uns einfach mal wieder auf einem Campingplatz. Franzosen sind begeisterte Camper, laut einschlägiger Website strömen jährlich an die sechs Millionen Franzosen über die 9800 Campingplätze, und bei den zusätzlichen zwei Millionen Ausländern liegen Niederländer, Deutsche und Briten an der Spitze. Nach den USA hat Frankreich den zweitgrössten Campingpark weltweit.
Und auf dem Zeltplatz lebt man wie in einer Grossfamilie - Intimität nur innerhalb der eigenen vier Zeltwände.
Man bekommt so ziemlich alles mit. Wer sich über was streitet, was und wann gegessen wird, selbst die tägliche Darmentleerung bleibt niemandem verborgen - wenn die Mitcamper nach dem Frühstück mit der Klopapierrolle in der Hand zielstrebig Richtung Toilette stapfen. Bei allem Luxus, den die Campingplätze heutzutage bieten, gehört es offenbar zu den festen Regeln, kein Kloapier zu stellen, das hat man gefälligst dabei zu haben.
Ansonsten lassen die Campingplätze tatsächlich keine Wünsche offen. Mit Sternen bewertet wie Hotels, können die, die noch keinen Swimmingpool haben, wahrscheinlich bald dichtmachen. In den springen wir nach einem heissen Wandertag auch gerne rein.
Viele haben eine nette kleine Bar oder ein Bistrot, in einigen sind passionierte Hobbyköche zugange und servieren abends mehrgängige Menüs, die es mit jedem ordentlichen Restaurant aufnehmen können. Da die Campingplätze fast immer etwas ausserhalb der Städte liegen, haben wir das oft dankbar angenommen. Genauso wie den Frühstücksservice: Abends hinterlässt man seine Croissant-, Baguette- und Pain-au-Chocolat-Wünsche, am Morgen liegen sie dann zum Abholen bereit an der Rezeption. Ein wunderbarer Luxus!
Und die Campingplatzbetreiber lassen sich auch sonst noch einiges einfallen, um ihre Gäste zu verwöhnen und sich von der Konkurrenz abzusetzen. Da werden Weinproben aus lokalen Anbaugebieten angeboten, es gibt Massagen und Wassergymnastik, Folkloreabende und Kleinkunst. Ein Campingplatz hatte sogar Amphitheater. Und damit der Nachwuchs beschäftigt ist: Zirkus, Fussballturniere, das allgegenwärtige Trampolin. Auf dem Campingplatz von Pamiers schleichen wir auf Zehenspitzen an den Biertresen, um die Vorführung eines Harry-Potter-Filmes nicht zu stören, der die Kinderschar gefesselt beiwohnt. Wenn es nicht wesentlich billiger wäre, könnte man sich fast im Club Med wähnen.
Klar ist ein Campingplatz das Paradies für Kinder überhaupt. Zelten wie die Indianer, auch wenn's ein rollendes Zelt in Form eines Wohnwagen ist. Der Campingtisch mit Klappstühlen ersetzt das Lagerfeuer, solange die Mahlzeiten nudel- und würstchenhaltig sind. Überall gibts Eis, und Kinder, Kinder, Kinder! Die rotten sich im Nu zu tobenden Horden zusammen, die Eltern brauchen sich nicht abplagen, die lieben Kleinen zu bespassen. Das Dating für Teenies fällt da schon dürftiger aus. Die wenigen, die sich haben breitschlagen lassen, nochmal mit ihren Eltern zum Campen zu fahren, daddeln meist gelangweilt auf ihren Handies rum. Denn Wifi ist heutzutage selbstverständlich beim Zelten.
Dagegen ist offenbar der Typus des Backpackers aus meiner Trampzeit ausgestorben, der mit Rucksack, Zelt und Gitarre unterwegs war und abends lautstark, unter Einnahme von Alkohol und allem, was sich inhalieren lässt, seinen Urlaubsabenteuern entgegenfeierte und deshalb irgendwann von genervten Wohnwagenspiessern oder Platzwarten angepfiffen wurde. Die Backpacker von heute gehen wohl lieber in die Hostels, da sind sie unter sich und sitzen nicht beim Vorglühen neben spaghettiessenden älteren Ehepaaren.
Leute unseren Alters stellen, neben jungen Familien, das Hauptklientel der Zeltplätze dar. Sie sind meist mit Wohnmobilen ausgestattet, oder mit palastartigen Hauszelt. Eingerichtet, als wäre man daheim, mit Fernseher und Satelitenschüssel, Küchenzelt mit Mückenschutz und aufblasbarem Lesesessel. Hin und wieder sieht man auch mal Radwanderer und Motorradcliquen mit einem Kleinzelt wie unserem. 

Bei diesem Klientel kann man sicher sein: 22 Uhr herrscht strikte Ruhe, kein Geplapper ist mehr zu hören, Fernsehen und Musik nur mit Kopfhörer, und wer draussen feiern geht, kommt nur noch zu Fuss rein, denn ab 22 Uhr werden die Schranken am Eingang runtergelassen. Auch wir schnachen dann meist schon in unseren Schlafsäcken, kein Geräusch stört uns mehr in unserem Schlaf.
Ziemlich pünktlich um acht Uhr morgens erwacht der Campingplatz wieder zum Leben - nur von den mürrischen Teenies ist meist noch nichts zu sehen -, denn ab acht Uhr wird das Frühstücksbaguette geliefert, und das ist der Startschuss für das morgendliche Treiben. Man sieht die Männer Wasser holen, mit dem die Frauen Kaffee kochen, Tische werden aufgeklappt, Sonnenschirme aufgestellt. Überhaupt scheint sich beim Campen eine Art feste Rollenverteilung gehalten zu haben: Zeltaufbau ist Männersache, im Küchenzelt führen die Frauen das Regiment. Wasserholen dürfen die Männer, Geschirrspülen wird meist den Frauen überlassen. Beim Grillen sind ausschliesslich die Männer aktiv, die Frauen verrichten die niederen Küchendienste. Einkaufen immerhin geht man gemeinsam.
Eine friedliche, freundliche, entspannte Gemeinschaft mit festen Regeln, so erscheint uns die Welt des Campings. Naja, ganz so friedlich und freundlich auch wieder nicht, jedenfalls nicht immer und überall. In Pamiers jedenfalls war der Zusatzakku geklaut, den wir im Toilettentrakt mal kurz an die Steckdose gehängt hatten.









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Kommentare: 4
  • #1

    gitti (Freitag, 27 Juli 2018 12:39)

    so erfrischend und lebendig geschrieben! danke dass ihr das mit uns teilt!gute Weiterreise und ich freue mich auf den nächsten Bericht!Bussi gitti

  • #2

    Lutz (Sonntag, 05 August 2018 15:35)

    Ihr schreibt wunderschöne Berichte, fühlt sich so an, als sei man dabei., Bin noch in Lapa, morgen gehts weiter nach SP, wo's dann das letzte lancamento gibt. Das lancamento in Rio war eher ein lamento, der Verlag hat keine Bücher geschickt. Na, zum Glück bin ich ja aufs brasilianische trainiert. abracos Lutz

  • #3

    Anja (Montag, 06 August 2018 17:43)

    Danke für euer feedback, abraços!

  • #4

    Monika (Freitag, 17 August 2018 09:45)

    "Was heult denn da? Wer kreischt mit Macht?
    Ist das erlaubt so spät zur Nacht?
    Gebt Ruhe hier! 's ist Schlafenszeit.
    Mein', hört nur, wie dort der Esel schreit!
    Ihr da! Seid still und schert Euch fort!
    Heult, kreischt und schreit an andrem Ort!"
    https://rwv-bamberg.de/